Unsere Projektreise in den Südsudan begann mit Fragen. Könnten bzw. sollten wir überhaupt reisen angesichts politischer Unruhen in der Region Western-Equatoria, nur 100 km entfernt von unserem Klinikprojekt? Wie gefährlich würde unsere Zwischenlandung in Äthiopien sein, wo die Tigrai-Rebellen auf Addis Abeba zumarschierten? Und dann die Ungewissheit wegen eventueller Covid-bedingter Quarantäne bei Ein- und auch Ausreise... Am Ende fuhren wir, Dr. Andreas Dittrich (der Initiator des Projekts) mit Ehefrau Marion und der Autor dieses Berichts (alle DKVB), und landeten planmäßig und wohlbehalten in Juba, der Hauptstadt des Südsudan. Joseph Bakosoro, Minister für Public Service des noch jungen Staates, begrüßte uns am Flughafen und verhinderte umgehend größere Probleme bei der Zollkontrolle wegen der mitgebrachten Gebrauchtbrillen für die Augenklinik.
Erst am übernächsten Morgen ging es weiter nach Yambio, der Regionalhauptstadt von Western-Equatoria. Dort empfingen uns unser Projektpartner Ambroise Soungouza und der katholische Bischof Eduardo Hiiboro sehr gastfreundlich. Weiter ging es per Auto nach Nzara. Nach drei Tagen waren wir endlich am Ziel!
Mit 13 Mio. Einwohnern, knapp zweimal so groß wie Deutschland, soll es nach unseren Informationen drei Augenärzte geben, wovon einer im Ministerium arbeitet. Außer der neugebauten Augenklinik in Nzara gibt es noch eine Augenklinik in der Hauptstadt Juba. Wir hatten sie bei unserer Anreise am Montag besucht - und dort keinen einzigen Patienten gesehen.
Der Südsudan hat eine Blindheitsrate von einem Prozent, die Hälfte davon durch Katarakt verursacht, also ca. 65.000 Menschen. Mit einer zehnminütigen Operation könnte man jedem Einzelnen das Augenlicht wiedergeben!
Die Augenklinik war fertig bis auf letzte kleinere Arbeiten, es fehlten noch die Zufahrten und das Aufräumen der Außenanlagen. Gemeinsam mit dem Chefpfleger des Krankenhauses Joseph Aege und dem Augenarzt Ambroise Soungouza besichtigten wir die Klinik und besprachen u.a. Arbeitsabläufe, Personal- und Honorarfragen.
Die Augenklinik war fertig bis auf letzte kleinere Arbeiten, es fehlten noch die Zufahrten und das Aufräumen der Außenanlagen. Gemeinsam mit dem Chefpfleger des Krankenhauses Joseph Aege und dem Augenarzt Ambroise Soungouza besichtigten wir die Klinik und besprachen u.a. Arbeitsabläufe, Personal- und Honorarfragen.
Dann warteten wir auf den Container mit Möbeln, Einrichtungsgegenständen, Geräten und Instrumenten, der seit vier Wochen überfällig war und kurz vor Nzara festsaß. Die Augenklinikausstattung war seit Juli auf dem Weg aus Deutschland (wir berichteten). Zwischendurch hatten wir Zeit das Krankenhaus zu besichtigen: es besteht aus Gebäuden, die 30 bis 40 Jahre alt sind, und einer Reihe sehr großzügiger Neubauten, die in den letzten Jahren mit Spenden hauptsächlich aus Italien errichtet worden sind (die Leitung des Krankenhauses hatten bis vor kurzem italienische Schwestern). Diese neuen Gebäude enthalten z.B. eine Blutbank mit zehn Räumen, ein neues OP-Zentrum mit sicherlich zehn Räumen und mit High Tech Narkosegeräten, die allerdings mit der vorhandenen Spannung nicht betrieben werden können.
Die Patienten kommen hauptsächlich, weil sie unter Malaria, Blutarmut und Mangelernährung leiden; besonders viele Kinder leiden unter Mangelernährung. Im Durchschnitt gebären Frauen in dieser Gegend acht bis zwölf Kinder, das erste meist mit 14 oder 15 Jahren. Die Entbindungsstation des Krankenhauses hat also auch reichlich zu tun. Covid 19 war zu dem Zeitpunkt kein großes Problem mehr.
Überall Kinder, nur jedes zweite besucht eine Schule, überall sieht man arbeitslose Jugendliche, die herumlungern oder als Moped-Taxifahrer arbeiten. Viele von ihnen haben schon Erfahrung mit Waffen – die Grenze zum Kongo, wo verschiedene Rebellengruppen wüten, ist nur fünfunddreißig Kilometer entfernt. Die Berufsbildungssituation ist katastrophal: in der ganzen Region gibt es z.B. keine Ausbildung für Pflegepersonal, obwohl es dringend benötigt wird. Die Menschen bewirtschaften mit der Hacke ihr Land für den Eigenbedarf; einen Traktor oder auch nur Ochsenpflug habe ich in dem Land nicht gesehen. Mein Eindruck: Mittelalter mit Handyempfang, das Mobiltelefon ist omnipräsent und immer am Ohr.
Donnerstagabend kam endlich der Container, Freitag konnten wir ihn mit viel tatkräftiger Unterstützung auspacken und alle Geräte zusammenbauen, aufstellen und anschließen.
Am nächsten Tag sollte ab 10.30 Uhr die Klinik eingeweiht werden. Aus der Hauptstadt hatten sich der Vize-Premierminister und vier Minister angekündigt, zwei Bischöfe, die regionalen Honoratioren, Politiker und ca. 500 Gäste, die wir beköstigen mussten. Die Rednerliste umfasste ca. 20 Redner. Um 15.30 Uhr kamen schließlich die Vertreter aus der Hauptstadt an. Nach einem kurzen Rundgang durch die Klinik begann der Redenmarathon – in Arabisch - lediglich die Sekretärin des Gesundheitsministers sprach auf Englisch und lobte unser Engagement. Als wir an der Reihe gewesen wären, wurde die Veranstaltung abgebrochen, weil es dunkel wurde und man zurückfahren musste. Unsere Frustration war groß. Unsere Gastgeber in Nzara dagegen lobten uns, weil durch die Einweihung der Augenklinik nach eineinhalb Jahren mal wieder eine Delegation aus der Hauptstadt in die Region gekommen war.
In den folgenden Tagen haben wir die Klinik weiter eingerichtet und ab Dienstag dann Patienten behandelt: da in der Region noch nie ein Augenarzt war, sahen wir fast nur schlimme und weit fortgeschrittene Krankheitsbilder: Menschen, die seit sechs oder sieben Jahren erblindet an Katarakt (grauer Star) waren, Kinder mit der angeborenen Form, die noch nie gesehen hatten – mit einer zehnminütigen OP kann ihnen Augenlicht geschenkt werden. Aber wir sahen auch viele, denen man nicht mehr helfen konnte.
In der Woche nach unserer Abreise begann Ambroise Soungouza mit den Operationen, er hat inzwischen mehr als 100 Patienten geholfen.
Für uns hieß es am Donnerstag Abschied nehmen, am Freitag ging es nach Juba – wieder mit Zitterpartie wegen nichtvorhandener Tickets für den Inlandsflug wie bei der Anreise – nach PCR-Test und Ergebnis abwarten ging es dann am Samstag zurück über Addis nach Frankfurt.
Für ca. 100.000€ haben wir in Nzara ein Gebäude auf dem Gelände des Krankenhauses gebaut, Geräte als Spenden gesammelt, in Deutschland gekauft und den Containertransport nach Nzara ermöglicht. Damit haben wir eine augenmedizinische Versorgung für ca. 1,5 Mio. Einwohner aufgebaut, denen bisher niemand geholfen hat. Mit den lokalen Partnern, dem Cataract-Surgeon Ambroise Soungouza, vielen engagierten Mitarbeitern des Krankenhauses und Bischof Eduardo Hiiboro wird es in Zukunft möglich sein, eine dauerhafte Versorgung aufzubauen. Wichtig ist es nun, augenmedizinisches Personal auszubilden, das in der ganzen Region Augenerkrankungen entdecken und nach Nzara schicken kann.
Dr. Raimund Balmes